TV Chronik

Das Volkshaus des TV Mörsch

von | 1. Jan 1995 | Chronik

Durch die Entschlusskraft und den Opfermut unserer Vorfahren wurde dieses Volkshaus erstellt. Unser Dank gilt deshalb all denen, die an dessen Bau und den Umgestaltungen mitgewirkt haben, ganz besonders aber den Mitgliedern, die noch nach der Enteignung 1933 bis zur Tilgung der Schuldenlast durch die Gemeinde im Jahr 1943 pünktlich ihren Zins für die geleistete Bürgschaft zahlen mussten.

Eine wechselvolle Geschichte hat dieses Haus in seinem 75jährigen Bestehen zu verzeichnen, Nutzung und Besitzer wechselten, die Politik nahm es in Beschlag und gab es wieder frei. So liest sich seine Geschichte:

1928 beschließt die Freie Turnerschaft Mörsch e.V. den Verkauf ihres Areals in der ehemaligen Rosenstraße. Mit dem Erlös erwarb man von der Gemeinde 15.000 qm Gelände an der damaligen Karlsruher Straße, Ortsausgang Richtung Forchheim, zum Bau eines Sportplatzes und einer Turnhalle mit einem Vereinslokal.
Am 22. 12. 1928 reicht die Badische Hallenbau- GmbH die statische Berechnung beim Bezirksbauamt Ettlingen ein. Für die Finanzierung des Bauvorhabens belasteten sich einige Mitglieder mit Hypotheken, was später in den Zeiten der großen Arbeitslosigkeit ( 1932 / 33 ) zu wirtschaftlichen Problemen führte. Mit viel Mut und Schwung, Eigenarbeit und Spenden aus den eigenen Reihen wurde dann im Frühjahr 1929 der Bau des Volkshauses begonnen und im gleichen Jahr zum Abschluss geführt.
Über die Einweihung schreibt die Badische Chronik 1929:

Turnhallenneubau und Einweihungsfeier in Mörsch
“Die Freie Turnerschaft Mörsch erbaute sich bei ihrem Sportplatz eine Turnhalle von wirklich schönem Ansehen und hervorragender Zweckmäßigkeit. Die Halle ist 15 Meter breit und 30 Meter lang und hat eine Firsthöhe von 9 Metern. Über diese Halle wölbt sich ein freitragendes Lamellendach. Giebeleingang und Bühne sind unterkellert für Ankleideräume, Wirtschaftskeller, Küche und Baderäume. Sämtliche Räume werden beheizt durch eine Niederdruckdampfheizung. Die Akustik der Halle ist eine ausgezeichnete, so daß sie sich zu Veranstaltungen aller Art eignet. Die Dachkonstruktion wurde von der Badischen Hallenbaugesellschaft Karlsruhe ausgeführt. Fast alle Bauarbeiten wurden in den Freistunden oft bis spät in die Nacht ausgeführt unter der Bauleitung des Vereinsmitgliedes Polier Leo Rihm. Die Bauoberleitung und die Planerstellung oblag Herrn Regierungsbaumeister Lohrmann unter Assistenz von Architekt Scheer in Karlsruhe.
Eine zahlreiche Festgemeinde folgte dem Rufe des Erbauers zum Festbankett am Samstagabend. Reden, musikalische und gesangliche Vorträge, sowie gute turnerische Leistungen des Vereins und seiner Brudervereine aus weiterer und näherer Umgebung unterhielten die Erschienenen. Am Sonntag fanden sportliche Wettkämpfe auf dem Platz statt…..
Der Verein kann stolz sein auf seinen mit großem Opfergeist der Mitglieder geschaffenen Bau und auf sein Einweihungsfest. Möge der Verein mit dem weiteren Ausbau der Halle bald weiterfahren können und im inneren Ausbau ebenso Geschmack entwickeln wie in dem bisher geschaffenen Werke”.
Das Volkshaus entwickelte sich bald zu einer Stätte kultureller und sportlicher Begegnungen

Die Beschlagnahme des Volkshauses als marxistisches Vermögen
Im Jahr 1931 begannen dunkle Wolken für die Arbeitervereine aufzuziehen. So war es dem Volkshaus auch nur fünf Jahre vergönnt, Heimat und Stolz des Vereins zu sein. Nach dem Tag der Machtübernahme, am 31.Januar 1933 durch die NSDAP wurden alle anderen Parteien und Gewerkschaften per Gesetz verboten und deren Eigentum konfisziert. Mit dieser Maßgabe wurde auch unser Volkshaus am 31. März 1933 durch die Regierung als marxistisches Vermögen entschädigungslos beschlagnahmt und der Gemeinde Mörsch übergeben. Am 2. Februar 1937 erklärte sich die Gemeinde Mörsch bereit, das unter der marxistischen Vermögensverwaltung stehende Grundstück Lgb Nr. 3588 mit dem darauf stehenden Gebäude (ehemaliges Volkshaus) zum Gesamtpreis von 22.000 Rk. vom Staat käuflich zu erwerben. Als Begründung für den niedrigen Kaufpreis wird der schlechte Bauzustand durch die jahrelang fehlende Pflege angeführt. Dem Antrag wurde stattgegeben, und das Volkshaus ging in den Besitz der Gemeinde über. Bis 1943 wurde das Volkshaus durch die Gemeinde unterschiedlich genutzt oder stand leer. Eine weitere Hiobsbotschaft erreichte die “stillen” Anhänger des Turnvereins, die noch immer gehofft hatten, das Volkshaus würde einmal wieder an seine rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. Die Gemeinde schrieb im “Führer” das Volkshaus zum Verkauf aus. Am 1.August 1943 wurde es an Ali Riza Hamza Öztürk für 51.000 RM. verkauft. Am 14.6. 46 stellt der Käufer den Antrag an die Gemeinde, das Volkshaus für einen Kinobetrieb nutzen zu können. Diesem Antrag gibt der damalige Bürgermeister am 15.6.46 mit dem Zitat statt: “die Halle sei doch für keinen anderen Zweck verwendbar”.

Rückgabe des Volkshauses
Am 3. Februar 1946 wurde im damaligen Gasthaus “Zum Bahnhof” die aufgelöste “Freie Turnerschaft e.V. Mörsch” unter dem neuen Namen: “Turn-und Sportverein Mörsch 1900 e.V. ( ehemalige Freie Turnerschaft )wieder gegründet. Bereits am 10.Februar 1946 beschließt die Generalversammlung eine Aufforderung an die Gemeinde zur Rückgabe des Volkshauses. Nach 10 jährigem Ringen über mehrere Instanzen hinweg, erhält der TV am 19.Oktober 1956 die grundbuchamtliche Rückgabe des Volkshauses; die finanzielle Entschädigung durch den Staat Baden-Württemberg erfolgte mit DM 2.909.- erst am 25.Juni 1969. Mit Aufwendungen von über DM 20.000.-musste der TV sein Volkshaus herrichten, bis es wieder zu einem geselligen Mittelpunkt der TV-Gemeinde wurde.
Der Sportbetrieb wurde bereits im Jahre 1948 aufgenommen. Es waren vornehmlich die Handballer, die den Sportplatz wieder herrichteten. Der Sportplatz wurde am 11.April 1949 wieder freigegeben. Für den Bau einer kleinen Hütte, die als Umkleideraum für die Sportler diente, nahm man ein Darlehen von DM 2.000.-auf, die Gesamtkosten betrugen DM 8.000.-.
Lange Jahre spielte und turnte man auf diesem Gelände, zwar war die Situation beengt, aber man nannte es sein eigen, dieses kleine Stadion.
Im Jahr 1970 wurden Verhandlungen mit einer Wohnungsbaugesellschaft über den Verkauf des Sportplatzgeländes aufgenommen. Im Januar 1971 wurde in einer Generalversammlung der Beschluss gefasst, das Sportgelände am Volkshaus zu verkaufen und ein neues an anderer Stelle zu errichten. Damit war die Symbiose Volkshaus – Sportplatz nicht mehr gegeben, das Volkshaus wurde einer anderen Nutzung übergeben.

Volkshaus wird Supermarkt
Darauf strömten wieder Leute, Alte und Junge, Männer und Frauen, in das “Volkshaus”, denn aus der ursprünglichen Sporthalle wurde ein Einkaufsmarkt. Am 12.6. 74 eröffnete die Pfannkuch- Kette im Volkshaus für die damaligen Verhältnisse, einen nach neuesten Erkenntnissen eingerichteten Supermarkt. In die Halle war zuvor eine Zwischendecke eingezogen, ein neuer Boden verlegt und die technischen Anlagen erneuert worden. Damit entstanden 427 qm Verkaufsfläche und 120 qm für Lager und Nebenräume. Im Zuge einer Firmenverflechtung wechselte 1998 der Besitzer, die Handelskette Spar übernahm den Supermarkt. Die Entscheidung, im Volkshaus einen Supermarkt anzusiedeln war jedoch richtig. Es wurde ein Mieterlös erzielt, man behielt die Immobilie und leistete einen Beitrag für die Nahversorgung der Angrenzer.

Volkshaus steht unter Denkmalschutz
In den Jahren 1998/99 wurde aus wirtschaftlichen Zwängen heraus erwogen, das Volkshaus zu verkaufen. Dies wurde jedoch wieder verworfen, zumal vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg der Bescheid kam, das Volkshaus stehe unter Denkmalschutz. Das entsprechende Gesetz besagt: Kulturdenkmale im Sinne dieses Gesetzes sind Sachen, Sachgesamtheiten und Teile von Sachen, an deren Erhaltung aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder heimatgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. Das Kernstück des Anspruches auf Denkmalschutz lag in der Gestaltung des Daches. Ausgeführt als sog. Zollingergewölbe stellte es ein erhaltenswertes Dokument der damaligen Holzbaukunst dar. Mit dieser Konstruktion, auch unter dem Namen Zollbau-Lamellen-Dach bekannt, wurde es möglich mit Spitz- oder Rundbogenprofilen bis zu 30m Spannweite zu überbrücken. Auf einer solchen Konstruktion beruht auch das Dach der Katholischen Kirche St. Michael in Malsch- Waldprechtsweier.

Das Volkshaus ist ohne Nutzung
Der letzte Pächter des Supermarktes gab überraschend Ende 2001 auf. War es die Konkurrenz der Großmärkte im Tiefgestade verbunden mit einem veränderten Einkaufsverhalten der Bevölkerung, oder lag eine Misswirtschaft vor, die Gründe sind nicht nachvollziehbar. Der Mietvertrag mit der übergeordneten Handelskette endete am 31. 12. 2002. Die Suche nach einem Nachmieter war ohne Ergebnis. Die laufenden Kosten des Gebäudes (einschl. Heizung) und der Mietausfall belasteten die ohnehin schon angespannte Finanzlage des Vereins. Eine weitere Verwendung der Halle war nicht abzusehen, somit stand eine Entscheidung an. In einer ausführlichen Beratung innerhalb des Vorstandes und des Verwaltungsrates wurde keine Alternative gefunden. Nach Abwägen aller Fakten, sowohl der wirtschaftlichen, als auch der emotionalen wurde der Verkauf des Volkshauses beschlossen. Der Vorstand wurde beauftragt, diese Immobilie zum Verkauf auszuschreiben.

Das Volkshaus wird ausgeschrieben
Dies erfolgte durch die Maklerfirma Strecker und Oljeni zu Beginn des Jahres 2002. Durch die ungünstige Situation des Immobilienmarktes meldete sich erst im Spätjahr 2002 ein ernsthafter Interessent. Dieser war bereit, das Grundstück für einen Betrag von € 600.000 zu erwerben mit der Auflage, das Volkshaus wird auf Kosten des Vereins abgerissen, und dieser trägt auch das Risiko für evtl. Altlasten. Die Kosten für den Abriss und die Entsorgung des anfallenden Bauschuttes wurden mit € 50.000 bis 60.000 ermittelt. Nachdem auch vom Landesdenkmal Baden-Württemberg die Auflagen des Denkmalschutzes durch zähe Verhandlungen zurückgezogen wurden, stand der Veräußerung nichts mehr im Wege.

Ein CAP- Markt sucht ein Haus
Unabhängig von unseren Verkaufsabsichten suchten die Hagsfelder Werkstätten (HWK) eine geeignete Immobilie für einen HandiCAP- Markt. In Rheinstetten bot sich unser Volkshaus als geeigneter Standort an. Die vorhandene Fläche und das Einzugsgebiet wurden positiv beurteilt. Die HWK waren bereit, das Volkshaus für 10 Jahre zu pachten und hierfür eine entsprechende Miete zu zahlen. Verlangt wurde jedoch eine umfassende Renovierung bis hin zu den WKD- gerechten Erfordernissen eines modernen Supermarktes. Von den Verantwortlichen des CAP-Marktes wurden diese Kosten auf ca. € 250.000 ermittelt. Der TV konnte diese Summe, seiner angespannten Finanzlage wegen, nicht übernehmen.

BM Dietz sucht eine Lösung
Um die Urbanität unserer Stadt durch eine Nahversorgung eines Stadtgebietes zu erreichen, Behinderten einen Arbeitsplatz zu schaffen und gleichzeitig das Volkshaus als geschichtsträchtiges Haus zu erhalten, brachte BM Dietz folgenden Vorschlag ein: Die Stadt erwirbt das Volkshaus, übernimmt die erforderlichen Kosten und vermietet dann als Eigentümer dieses an die HWK. Dieser Vorschlag wurde ausführlich auf einer Informationsveranstaltung am 10. 2. 2003 in der Aula des Mörscher Schulzentrums vorgestellt. Zahlreiche Bürger waren anwesend und begrüßten diesen Vorschlag, der besonders den älteren Bürgern die Versorgung erleichtern würde.

Der Gemeinderat entscheidet
Bereits im Vorfeld der Entscheidung wurde diese Lösung von der CDU abgelehnt. Die SPD forderte ein für beide Seiten angemessenes Angebot, die Stadtverwaltung hielt € 500.000 für einen fairen Preis. Aus Interesse am Erhalt des Hauses ermächtigte der Verwaltungsrat den Vorstand zu einem neuen Angebot mit € 500.000. Diese Summe war ein Kompromiss aus den genannten € 600.000, reduziert um die Abrisskosten und die zu erwartenden Rechtsanwalts- Makler- u. Gerichtskosten. Ins Kalkül genommen wurde dabei auch das Recht des Landesamtes für Denkmalpflege, von uns ein “angemessenes” Angebot durchzusetzen.
Der Gemeinderat entschied mit den Stimmen der CDU, der FDP und der JA, dass unser Volkshaus nicht in den Besitz der Stadt Rheinstetten übergeht. Der dort vorgesehene CAP- Markt, zur Nahversorgung der Angrenzer, wird somit nicht realisiert, der Erhalt dieses Bauwerkes ist damit nicht möglich. Es war sicherlich nicht die Höhe des TV- Angebotes, das in der Sitzung des Gemeinderates am 25. 02. 2003 zur Ablehnung des Vorschlags führte. Die Begleitumstände der Ablehnung durch die CDU- Fraktion lassen (nach Ansicht des Verfassers) keine andere Deutung zu, es war eine politische Entscheidung mit den Querelen eines gespaltenen Gemeinderates.

Was bleibt?
Der bittere Geschmack der Niederlage. Unsere Versuche, unterstützt von BM Dietz, das Volkshaus zu erhalten waren vergeblich. Das Volkshaus nur noch Geschichte weiterleben. Die Stadt Rheinstetten wiederum hat ein geschichtsträchtiges Gebäude verloren, wurde ihr ein wertvolles Grundstück entzogen, und die Hoffnungen der Angrenzer auf eine Nahversorgung dahin. Es ist zu hoffen, dass sich jedes Gemeinderatsmitglied persönlich der Bedeutung seiner Entscheidung bewusst war.
Das Volkshaus, die Rote Halle, hat in Mörsch Geschichte geschrieben, war ein Zeugnis der Arbeiterbewegung der Zwanziger Jahre und jahrelang der kulturelle und sportliche Mittelpunkt des TV M. Viele Mitglieder haben am Bau dieses Hauses unter persönlichen Opfern mitgewirkt. Die Rote Halle hatte für viele Vereinsmitglieder mehr als eine symbolhafte Bedeutung eines Eigentums. Sie ist ein Teil der Geschichte unseres Vereins.

Wenn diese Zeilen gelesen werden, steht die “Rote Halle” nicht mehr. Der TV hat die, in beiderseitigem Einverständnis, eingefrorenen Verhandlungen mit dem Mieter- u. Bauverein Karlsruhe wieder aufgenommen und die unterbrochene Abrissgenehmigung nochmals beantragt. Nach beiderseitiger Unterschrift des Kaufvertrags wurde der Abriss eingeleitet, der Platz der “Roten Halle” wird ein Wohnprojekt aufnehmen.

Hermann Bäuerle